AF447-Vorbericht veröffentlicht

Quelle: Airliners.de

 

Widersprüchliche Geschwindigkeitsangaben und überzogener Flugzustand

Kurz vor dem zweiten Jahrestag des Absturzes der Rio-Paris-Maschine über dem Atlantik haben die Unfallermittler erste Ergebnisse der Auswertung der Flugschreiber veröffentlicht. Demnach kam es im Cockpit zu einer Inkonsistenz der Geschwindigkeitsanzeigen, bevor die Maschine einen überzogenen Flugzustand einnahm und absackte.

© BEA

Flugbahn von AF447. Die orange Markierung zeigt die letzte bekannte Position der Maschine.

Flugbahn von AF447. Die orange Markierung zeigt die letzte bekannte Position der Maschine.

Die französische Unfallermittlungsbehörde BEA hat am Freitag auf ihrer Website einen vierseitigen Vorbericht zum Absturz von Flug AF447 vorgelegt. Demnach kam es im Cockpit zu einer Inkonsistenz und später zu einem komletten Ausfall der Geschwindigkeitsanzeigen. Die elektronischen Flugassistenzsysteme des A330 standen daraufhin nicht mehr zur Verfügung.

In der Folge geriet der A330 in einen überzogenen Flugzustand. Der dreiköpfigen Crew aus Kapitän und zwei Copiloten gelang es in den folgenden 3 Minuten und 30 Sekunden bis zum Aufprall auf dem Wasser nicht, das Flugzeug zu kontrollieren.

Das BEA legt Wert auf die Angabe, dass die eigentliche Unfallursache erst nach einer langen und gründlichen Untersuchung festgestellt werden könne. Gleiches gelte für Sicherheitsempfehlungen. Zuvor hatte das BEA mitgeteilt, vor dem Sommer keinen Zwischenbericht veröffentlichen zu wollen.

Anfang Mai hatten die Ermittler bekanntgegeben, dass die Flugschreiber trotz des langen Aufenthalts im Meer noch ausgelesen werden konnten. Ein Tauchroboter hatte die Geräte im April aus rund 4.000 Metern Tiefe an die Meeresoberfläche geholt. Bei dem Absturz des Airbus A330-200 waren am Pfingstmontag 2009 alle 228 Menschen an Bord ums Leben gekommen.

Details aus dem Vorabbericht

Dem Bericht zufolge hatte sich die Crew um 02:08 Uhr (UTC) auf einem zunächst ereignislosen Flug entschieden, eine besonders turbulente Unwetterformation links zu umfliegen und die Geschwindigkeit zu verringern (s.o. Position 3). Zuvor hatte der Kapitän das Cockpit an die beiden First-Officer übergeben, um seine Ruhezeit wahrzunehmen.

Rund zwei Minuten nach der Schubreduzierung schaltete sich den Aufzeichnungen zufolge der Autopilot und anschließend auch das Autothrust-System für die Geschwindigkeitsregelung ab (s.o. Position 4). Das Flugzeug begann nach rechts abzukippen und der steuernde Pilot zog das Flugzeug nach links hoch («Pitch-up»). Die Überziehwarnung wurde zwei Mal in Folge ausgelöst.

Die aufgezeichneten Parameter zeigen dann einen plötzlichen Abfall der Geschwindigkeit von ca. 275 kt auf 60 kt in der linken primären Fluganzeige und kurz darauf in der auf dem Standby-Instrument “ISIS” angezeigten Geschwindigkeit. (Die auf der rechten Cockpitseite angezeigte Geschwindigkeit wird nicht aufgezeichnet.)

Um 02:10:16 bemerkte der nicht steuernde Pilot fehlende Geschwindigkeitsanzeigen. Zudem ging das Flugzeug in den “Alternate-Law”-Flugmodus. In diesem Modus sind die automatischen Anstellwinkel-Schutzsysteme des Airbus nicht mehr verfügbar. Der Anstellwinkel des Flugzeugs erhöhte sich nach und nach über zehn Grad hinaus und das Flugzeug geriet in eine ansteigende Bahn mit Steigraten bis zu 7.000 ft/min.

Der steuernde Pilot führte Sinkflugbefehle durch (Pitchdown) und steuerte das Flugzeug abwechselnd nach rechts und nach links. Die Steigrate verringerte sich daraufhin auf 700 ft/min. Die auf der linken Seite angezeigte Geschwindigkeit erhöhte sich schnell auf 215 kt (Mach 0,68). Das Flugzeug befand sich nun in einer Höhe von etwa 37.500 ft und der aufgezeichnete Anstellwinkel betrug etwa vier Grad. Der nicht steuernde Pilot im Cockpit versuchten in dieser Phase des Fluges mehrfach, den Kapitän zurückzurufen (s.o. Position 5).

Um 02:10:51 löste die Überziehwarnung erneut aus. Die Schubhebel wurden in die Stellung TO/GA (Takeoff/Goaround) gestellt und der steuernde Pilot zog das Flugzeug hoch. Die trimmbare Höhenflosse wechselte innerhalb von einer Minute von drei auf 13 Grad und blieb bis zum Ende des Flugs in dieser Position. Der aufgezeichnete Anstellwinkel von etwa sechs Grad bei Auslösen der Überziehwarnung nahm weiter zu.

Etwa fünfzehn Sekunden später erhöhte sich die auf dem ISIS angezeigte Geschwindigkeit plötzlich auf etwa 185 kt – sie war nun wieder mit der anderen aufgezeichneten Geschwindigkeit konsistent. Die Inkonsistenz zwischen den links angezeigten und auf dem ISIS angezeigten Geschwindigkeiten dauerte damit insgesamt etwas weniger als eine Minute.

Das Flugzeug flog weiterhin hoch. Die Flughöhe erreichte ihr Maximum von etwa 38.000 ft. Gegen 02:11:40 Uhr kehrte der Flugkapitän in das Cockpit zurück (s.o. Position 6). In den nachfolgenden Sekunden wurden alle aufgezeichneten Geschwindigkeiten ungültig (keine Geschwindigkeitsanzeigen mehr unter 30 kt) und die Überziehwarnung stoppte.

Der Anstellwinkel der Maschine (englisch: angle of attack, AOA: der Winkel zwischen der Richtung der anströmenden Luft und der Profilsehne einer Tragfläche) wuchs nun auf über 40 Grad an. Der Pitch des Flugzeug betrug dabei allerdings nie mehr als 15 Grad. (dt. Neigungswinkel: die relative Lage des Flugzeugs zum Horizont, der Pitch wird auf dem künstlichen Horizont im Cockpit angezeigt, der AOA nicht.) Zeitgleich fiel der A330 mit rund 10.000 ft/min herunter, während die Triebwerke liefen mit rund 100 Prozent N1 liefen. Das Flugzeug war dabei seitlichen Schwankbewegungen ausgesetzt, die bis zu 40 Grad erreichten.

Um 02:12:02 Uhr sagte der steuernde Pilot «ich habe keine Angaben mehr» und der nicht steuernde Pilot «wir haben keine gültigen Angaben mehr».

Etwa fünfzehn Sekunden später drückte der steuernde Pilot das Flugzeug nach unten (Pitch-down) und setzte die Schubhebel auf Leerlauf. In den nachfolgenden Momenten wurde eine Verringerung des Anstellwinkels festgestellt, die Geschwindigkeiten wurden erneut gültig und die Überziehwarnung wurde erneut aktiviert.

Um 02.13.32 Uhr sagte der steuernde Pilot «wir werden auf Level hundert kommen». Etwa fünfzehn Sekunden später wurden gleichzeitige Einwirkungen der beiden Piloten auf die Steuerknüppel aufgezeichnet und der Kapitän sagt «mach du, übernimm die Steuerung».

Der Anstellwinkel blieb auch danach immer über 35 Grad. Die Aufzeichnungen endeten um 02.14:28 Uhr. Die letzten aufgezeichneten Werte waren eine vertikale Geschwindigkeit von -10.912 ft/min, eine Geschwindigkeit von 107 kt über Grund, eine Neigung von 16,2 Grad hochgezogen, ein Rollwinkel von 5,3 Grad und ein magnetischer Kurs von 270 Grad.